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Georg Friedrich Händel: Der Messias
Autor: Bärbel Haude, Wortanzahl: 757
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Zu Händels Messias
Eine Sternstunde der Menschheit nennt Stefan Zweig in seinem berühmten Essay die Entstehung von Händels „Messias", und unzählige begeisterte Hörer seit der Dubliner Uraufführung am 13. April 1742 werden ihm Recht geben. Allerdings bezieht sich Stefan Zweigs überschwängliches Lob weniger auf das Werk selbst als auf Händels Lebenssituation im August 1741: Er habe durch die Arbeit am Messias" „seine eigene Auferstehung" aus einer schweren Schaffenskrise erlebt; sein Leben habe dadurch bis zu seinem Tod siebzehn Jahre später eine neue, spirituelle Wendung erhalten.

Vieles davon ist Legende. Richtig ist, dass das Werk für Händel die größte Bedeutung hatte; es war das letzte, das er vor seinem Tod noch selbst angehört hat; sein Grabmal in Westminster Abbey zeigt ihn mit dem Notenblatt der Arie „I know, that my redeemer liveth", und in der Tat hat Händel von jetzt an keine Opern mehr geschrieben. Aber dass Händel den „Messias" in einem magischen Schaffensrausch, ohne Schlaf und Nahrung, komponiert haben soll, in tiefreligiöser Zwiesprache mit dem Text, ist nirgends belegt.

Dagegen gibt es ganz nüchterne Gründe für die große Vehemenz, mit der sich Händel auf diese Arbeit stürzte und sie in sagenhaft kurzer Zeit (drei Wochen) vollendete: Händels Stern als Londoner Opernkomponist und Musikmanager war gesunken; Händel stand, wie schon einmal, am Rand des Bankrotts. So war es für ihn eine hochwillkommene Fügung, dass er für das Frühjahr 1742 eine Einladung zu einer Oratorien-Konzertreise nach Dublin erhielt. Endlich eine Weile weg von London!

Hinzu kam ein weiterer glücklicher Zufall: Händel hatte gerade ein neues Libretto auf den Tisch bekommen, das anders war als alles, was er bisher in Töne gesetzt hatte, und damit ideal für einen Neubeginn: „Messiah" von Charles Jennens. Dieser reiche Gentleman, der sich auf seinem Landsitz mit einer großen Kunst- und Musikaliensammlung umgab, hatte Händel schon mehrmals mit Libretti versorgt, immer unentgeltlich und anonym übrigens, und genoss dessen großen Respekt.

Jennens' dreiteiliges Libretto besteht ausschließlich aus Bibeltexten, in Teil I und II überwiegend aus dem Alten, in Teil III mehrheitlich aus dem Neuen Testament. Die Fleißarbeit eines engagierten Bibelkenners, könnte man denken. Aber das „Messiah"-Libretto ist wesentlich mehr. Es ist nicht zu trennen von der Aufklärung das 18. Jahrhunderts und ihrem zentralen Thema: dem Konflikt zwischen Vernunft- und Offenbarungsglauben. Brauchen vernunftbegabte Menschen in einer Schöpfung, in der Gott „alles so herrlich regieret", überhaupt den Glauben an einen geoffenbarten, einen stellvertretend
für uns Sünder geopferten Gottessohn? Ist ein Glaube „höher als alle Vernunft" nicht vielmehr ein archaischer, düsterer, klerikal gesteuerter Aberglaube? In England und Frankreich mit ihrer Einheit von Kirche und Krone war diese Frage ein Politikum ersten Ranges; die Deisten (von lat. Deus = Gott), die „vernünftigen Verehrer Gottes", riskierten Kopf und Kragen. G. E. Lessing in Wolfenbüttel bekam noch zwanzig Jahre nach Händels Tod für die Herausgabe deistischer Schriften von seinem Herzog Schreibverbot. Und brisant ist das Thema bis heute.

Vor diesem Hintergrund liest sich Jennens „Messiah" geradezu wie eine Kampfschrift gegen die Vernunftreligion: Für den gläubigen Anglikaner Jennens gibt es ohne Christus, den im Alten Testament geweissagten Messias (der Titel „Messiah" ist Programm!) keine Erlösung; auf ihn, seine Erwartung, seine Fleischwerdung, seinen Tod, seine Auferstehung und Offenbarung zielt alles hin. Er ist der „King of Kings" des Halleluja. Gottes Heilsplan gliedert das Oratorium anstelle einer dramatischen Handlung – etwas gänzlich Neues! Für sein theologisches Konzept ändert Jennens notfalls bekannte Bibelstellen, die gar nichts mit dem Messias/Christus zu tun haben - das „Ich" des klagenden Jeremias z. B. wird zum ein „Er" einer Aussage über den leidenden Christus, und der „redeemer" in der berühmten Arie (s.o.) nach einem Text aus dem Buch Hiob ist dort, wörtlich übersetzt, Hiobs Anwalt (und zwar zu Lebzeiten!) gegen ungerechte Anschuldigungen - weit entfernt von Messias Erwartung und Auferstehungsglauben. Für die Hörer ist die Arie dennoch Ausdruck von so tröstlicher christlicher Glaubensgewissheit, dass sie sich immer wieder Menschen für ihre Beerdigung wünschen.

Der Erfolg von Händels „Messias" ist ungebrochen. Die Dubliner Zeitung bittet die Damen vor der Uraufführung, doch bitte nicht in Reifröcken zu erscheinen, damit der Saal mehr Platz bietet. 1883 sollen 87.769Zuhörer gelauscht haben, bei 4.500 Aufführenden; ein nationales Riesen-Event. Bei der ersten Londoner Aufführung 1743 erhob sich der König beim Halleluja, und so tun es die Engländer noch heute. Für sie ist übrigens „Messiah" das eigentliche Weihnachts-oratorium, obwohl Jennens und Händel es für die Karwoche bestimmt haben. Aber im Messias fallen ohnehin sozusagen alle christlichen Feste auf einen Tag, und unsere Aufführung mitten im Sommer ist damit voll Gerecht-fertigt.

„I gave Handel a collection called Messiah. He has made a fine entertainement of it", schreibt Jennens 1742. Fine indeed, sir!

Bärbel Haude (Göttingen)
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verbandes Deutscher KonzertChöre.