figure humaine kammerchor: trotz – nein, wegen Corona die Herzen erwärmen Drucken

Optimistisch mit CD-Aufnahme und Open-Air-Auftritten

Thumbnail imageEin Konzert nach dem anderen musste dieses Jahr abgesagt werden, das musikalische und ganz vorneweg das chorische Leben kam zum Stillstand. Aber der figure humaine kammerchor (übersetzt „Das menschliche Antlitz“) wollte dem Massensterben von Veranstaltungen nicht einfach machtlos zusehen. Ihm war es wichtig, Wege zu finden, sein Publikum auch in diesen sang- und klanglosen Zeiten mit seiner Musik zur Seite zu stehen. Und so nahm das Ensemble die komplizierte Organisation einer CD-Aufnahme in Angriff und bot Open Air-Auftritte in der Stuttgarter Innenstadt an.

Unkompliziert war in diesem Jahr 2020 ab März wohl rein gar nichts mehr. Proben gingen online oder ganz verloren, Konzerte musste man in den Herbst verschieben, wo sie ein ähnliches Absageschicksal erwartete. Manche Chöre wurden pessimistisch, was verständlich war, und warteten vorsichtig und ängstlich ab. Manche wollten kämpfen, und sei das notfalls gegen Windmühlen. Der figure humaine kammerchor gehört zweifellos zur zweiten Kategorie, und bald bestand der Choralltag nur noch aus Antragsstellungen, Ideenaustüfteln, wie gesungen werden dürfte, und wie die für den August geplante CD-Einspielung trotz aller Widrigkeiten stattfinden könnte. Die Aufnahme, an die im Mai, ehrlich gesagt, nicht mehr viele glaubten, nahm Form an.

Für viel Geld wurden Trennwände angeschafft, es wurden Abstände abgemessen, die Stimmgruppen nur einzeln eingelassen, damit sich die Sänger beim Suchen ihrer gekennzeichneten Plätze nicht zu nahekamen, neben Händedesinfektionsmitteln gab es sogar auch Mundspülungen zum Gurgeln, die das Ansteckungsrisiko limitieren. Die Sänger wie der Chorleiter nahmen es auf sich, alle 40 Minuten in ihrem Arbeitsfluss unterbrochen zu werden, um die große Kirche ausgiebig zu lüften, und man sah sie vor den Arbeitsabschnitten gurgelnd auf dem Vorplatz stehen (ein ungewöhnlicher Anblick!). Zudem nahm der Tonmeister das Risiko auf sich, trotz der Abstände und Trennwände aufzunehmen.

Die Hiobsbotschaft, dass sechs Sänger kurzfristig nicht mitsingen konnten, da sie entweder erkältet waren oder sich in Quarantäne befanden, konnte den Chor ebenfalls nicht von seinem Vorhaben abbringen. Herausgekommen ist dabei nach der erfolgreichen Debüt-CD „Kennst Du das Land…“ die Folge-CD unter dem Namen „… wo die Zitronen blühn“ mit noch nie gehörten Bearbeitungen von französischen und deutschen Mélodies und Kunstliedern.

Der figure humaine kammerchor ist mittlerweile für seinen warmen und umarmenden Klang bekannt. Diese Wärme und diese Umarmung, beides Ausdruck von Menschlichkeit, möchte der Chor seinem Publikum mit auf den Weg geben. Lieder über Liebe, Zuwendung, Natur, Gesang, aber auch über Trauer, Trennung, Schmerz stehen auf dieser CD, um jeder Emotion, die der Mensch empfindet, Ausdruck zu geben. Dazu eignen sich die wunderschönen Mélodies und Kunstlieder von französischen und deutschen Komponisten wie Fauré, Duparc, Bizet, Hensel oder Clara Schumann sehr, die der Leiter Denis Rouger für Chor und Klavier (und ggf. Horn) bearbeitet hat. Mit diesen einfühlsamen Bearbeitungen entführen die Sängerinnen und Sänger die Zuhörer auf die unterschiedlichsten Pfade der Liebe in der Poesie beider Länder. Die bekannten Kunstlieder, eigentlich für Solostimme und Klavier komponiert, werden in chorischer Interpretation ganz neu erlebbar (viele der Bearbeitungen von Denis Rouger sind übrigens im Carus-Verlag erschienen, so mancher Chor sänge sie sicherlich gern).

Fast würden in der o.g. Liste von Emotionen die Angst und die Wut fehlen, aber auch die haben die Sänger zum Ausdruck gebracht. So geht es wie im Sturm in „Les Djinns“ von Gabriel Fauré oder in „Der Feuerreiter“ von Hugo Wolf vor, zwei Originalkompositionen, die mit den Grenzen zwischen Realität und Fantastischem spielen.

Anfang September sollte figure humaine beim Festival Europäischer Kultursommer Fellbach auftreten. Dieses wurde leider auf 2023 verschoben. Aber der Chor durfte dort trotzdem als einziges „überlebtes“ musikalisches Event zwei aufeinanderfolgende Konzerte mit einem Teil des Programms der CD geben. Wieder mit Trennwänden gewappnet sang er vor einer jeweils ausverkauften limitierten Zuhörerschaft. Die berührenden Reaktionen des Publikums zeigten, wie sehr den Menschen die Konzerte fehlten, und führte den SängeInnen gleichzeitig wieder ganz deutlich vor Augen, wofür sie Musik ausüben.

Thumbnail imageIm Spätsommer durften die Mitglieder des Chores durch einige Open Air-Auftritte musikalische Sonne in die Stuttgarter Innenstadt bringen. In vier Oktette aufgeteilt sind sie über den ganzen September verteilt im Freien auf das Publikum zugegangen. Jedes Oktett gab mindestens zwei A-cappella-Konzerte an verschiedenen Stuttgarter Plätzen und konnte so auch Menschen erreichen, die sonst nicht in Kontakt mit klassischer Musik kommen.

Nun müssen wir uns alle noch einmal gedulden, ehe Live-Konzerte wieder möglich sind. Der figure humaine kammerchor behält dabei seinen unerschütterlichen Optimismus und hofft nun, mit dem Erscheinen der CD „… wie die Zitronen blühn“ etwas über die musiklose Zeit hinwegzutrösten und zur Hoffnung auf neue Projekte und Konzerte im kommenden Jahr beizutragen.

Isabelle Métrope, Christiane Rouger-Ortwein
02.12.2020