Bremer RathsChor: Die Jamulus-Software in der Praxis Drucken

Ein Konzertexperiment in Bremen

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In den Hochzeiten der Corona-Pandemie galten Chorproben als Infektionsherde allererster Güte und waren deshalb nicht erlaubt. Im nächsten Schritt waren Proben im Freien oder in Hallen, die ausreichend Platz zur Einhaltung der Abstandsregeln boten und über gute Lüftungsanlagen verfügten, möglich. Aber je nach aktueller Corona-Lage war dieser Probenmodus oft nicht von Dauer.

Viele Chöre, ob Laien oder Profis, versuchten daher mittels der Software Zoom den Probenbetrieb aufrechtzuerhalten. Es stellte sich aber schnell heraus, dass sich Zoom zur Simulation einer “richtigen” Chorprobe nicht eignet. Dem einzelnen Chormitglied bietet es zwar eine gute Orientierung, weil die Chorleiterin/der Chorleiter die jeweiligen Stimmen spielt oder mitsingt, aber ein gemeinsames Musizieren ist nicht möglich. Allenfalls zur Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhangs taugt die Software und wurde so auch Fall des Bremer RathsChors zum Smalltalk rund um die Proben gern genutzt.

Die Jamulus-Software: Schwierigkeiten und Chancen

In dieser Situation stellte der VDKC die Software Jamulus vor und bot dazu Online-Seminare an, die von mehreren Mitgliedern des Chorvorstands absolviert wurden. Jamulus erzeugt tatsächlich einen klaren, rauschfreien Ton für alle Teilnehmenden, die bei Zoom so störenden Verzögerungen in der Tonübermittlung sind minimiert. Zudem verfügt jede:r über diverse individuelle Einstellungsmöglichkeiten. So kann der Ton aller Teilnehmenden einzeln oder in Gruppen zu- oder abgeschaltet, deren Lautstärke je nach Bedarf geregelt und auch der eigene Ton für die anderen ausgeschaltet werden.

Die angestrebten niedrigen Latenzen sind allerdings nur zu erzielen, wenn möglichst alle Störquellen reduziert bzw. eliminiert werden. Das beginnt mit der Verbindung des “heimischen” PCs mit einem LAN-Kabel zum Router, setzt Mikrofon, Kopfhörer und Interface voraus, und es muss für jede Gruppe möglichst ein eigener, standortnaher Server eingerichtet werden etc. In der Praxis wird dann ein Ton über das Mikrofon bis zum Server übertragen, mischt sich dort mit den Tönen der anderen Teilnehmenden und kommt zurück zum Kopfhörer.

Trotz aller Minimierungsmaßnahmen zur Verringerung der Latenzzeit bleibt aber noch – physikalisch bedingt – eine Laufzeit zwischen gesungenem und gehörtem Ton. Dies führt dazu, dass sich der Teilnehmende doppelt hört. Eine weitere Anforderung: Um einen geschlossenen Chorklang zu erhalten, muss vor der Zeit, vor dem Schlag der Dirigentin/des Dirigenten gesungen werden. Das Hören auf die Mitsingenden führt zu Verzögerungen. Die Anforderungen an die Teilnehmenden sind also recht hoch.

Ein ungewöhnliches Konzert-Experiment

Trotz dieser Schwierigkeiten entschloss sich der Vorstand, das Experiment mit einer zehnköpfigen Jamulus-Gruppe zu beginnen, begleitet von einem Techniker, der in den ersten Probenwochen bei der individuellen Einrichtung von Hard- und Software half. Ziel war es, den Jamulus-Chorklang mit Zoom zu koppeln. Eine neue technische Hürde, die – wenn es dazu auch einiger Versuche bedurfte – letztlich erfolgreich genommen werden konnte.

“Krankheit – Strafe Gottes, Einbildung oder Herausforderung?”, so lautet der Titel des Konzerts, das am 24.02.2022 in der Kulturkirche St. Stephani in Bremen stattfand und in der Presse als Konzert-Experiment bzw. hybrides Konzert angekündigt wurde. Ungewohnt und neu, vermutlich sogar einzigartig, waren die Bedingungen, unter denen die drei Werke dem Publikum nahegebracht wurden. Aber auch das Konzept des Abends, das eine Bachkantate (“Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe”, BWV 25), einen von einem Schauspieler vorgetragenen Auszug aus Molières “Le Malade imaginaire” und von Marc-Antoine Charpentier hierfür komponierte Intermedien zu einem Ganzen zusammenfügte, ermöglichte neue Erfahrungen.

Das Konzertpublikum erlebte einen multimedialen Abend: das Göttinger Barockorchester, vier Gesangssolisten und der Schauspieler sangen und spielten vor Ort unter der Leitung von Antonius Adamske. Auf einer großen Leinwand hinter dem Ensemble waren die Sängerinnen und Sänger des Jamulus-Chors zu sehen und über Lautsprecher zu hören; weitere Chormitglieder, die lediglich per Zoom teilnehmen konnten, waren beim Mitsingen zu sehen, wenn auch nicht zu hören.

Thumbnail imageKein eindeutiges Fazit

Welche Lehren können nun aus dem Projekt gezogen werden? Eignet sich dieses Format zur Nachahmung in Zeiten einer Pandemie?

Die Antwort fällt nicht leicht. Aus der Sicht der an der Aufführung via Zoom beteiligten Chormitglieder überwiegen wohl die Vorteile. Die Mitwirkung an einem Live-Konzert erzeugte bei den lediglich visuell erscheinenden Sängerinnen und Sängern trotz der oben geschilderten Schwierigkeiten ein Gemeinschaftsgefühl. Der Jamulus-Chor war demgegenüber extrem gefordert, ein hohes Maß an Konzentration war nötig; gleichzeitig konnten sich die Mitwirkenden nicht sicher sein, ob ihr Singen sich mit dem Gesang der Solist:innen, die auch die Chorpartien verstärkten, so mischte, dass sich bei den Zuhörenden ein gemeinsamer Klang einstellte. Auch bereitete die Technik teilweise große Probleme – die Mitsingenden waren von Einigen kaum zu hören –, so dass die Bereitschaft, sich erneut auf ein derartiges Experiment einzulassen, gegen Null geht.

Das Auditorium war zwar fasziniert vom multimedialen Aufgebot und sehr gespannt auf das Konzert. Der akustische Eindruck jedoch war zwiespältig. Insbesondere in den polyphonen Teilen, so beim Eingangschor der Bachkantate, störte die nicht perfekte Synchronizität der beteiligten Musizierenden die aufmerksamen Zuhörenden doch sehr.

Wohl mag niemand in diesem Konzert eine Blaupause für das oratorische Konzertleben nach Corona gesehen haben. Gleichzeitig sollte aber in die Diskussion genommen werden, ob digitale Formate auch in der Zukunft eine Möglichkeit dafür bieten, räumlich weit entfernte Partizipanten zu beteiligen. Das Medium „Konzert“ lebt vom gegenseitigen und unmittelbaren Austausch der Künstler:innen mit dem Publikum, bereits eine ungünstige Aufstellung im Bühnenraum kann als störend für den Kontakt wahrgenommen werden. Man mag demzufolge resümieren, dass ein Live-Konzert nicht zu ersetzen ist. Doch schon zu oft haben wir erlebt, wie schnell eine technische Entwicklung Konventionen überholt – lassen wir uns überraschen, was die Zukunft zu bieten hat!

Astrid Heckel, Michael Werbeck
30.03.2022