Mit Hübner, Schumann und Verdi ins Jubiläumsjahr

„Einer der jüngsten Chöre Stuttgarts wird 40 Jahre alt. Diese Aussage klingt nach einem Widerspruch in sich, ist aber doch nicht weniger als die Definition dessen, was den Württembergischen Kammerchor auszeichnet", schreibt Prof. Dr. Werner Heinrichs, Rektor der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, in seinem Grußwort zum Jubiläumskonzert. Und in der Tat gehört zum Selbstverständnis des Chores, dass das Durchschnittsalter der Sängerinnen und Sänger zwischen 25 und 30 Jahren liegt. Dies hat zum einen damit zu tun, dass der künstlerische Leiter und Chorgründer Prof. Dieter Kurz an der eben genannten Hochschule unterrichtet und zum anderen, dass ehemalige Studierende, aber auch anderwärtig musikalisch ausgebildete Interessenten den Klangkörper bereichern. Das Klangbild wird an einer langen Tradition gemessen, jedoch stetig erneuert und verändert.

Im Zentrum des Schaffens steht das große A-cappella-Repertoire, bevorzugt anspruchsvolle Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Des weiteren kann auf zahlreiche Uraufführungen (Musik von Isang Yun, Dieter Schnebel, Karl Michael Komma, Hans Georg Pflüger, Axel Ruoff u.a.) verwiesen werden, wie auch auf die Teilnahme an szenischen Produktionen und konzertanten Opernaufführungen. Ein besonderes Merkmal in der Entwicklung des Württembergischen Kammerchors ist der aufgeschlossene und zeitgemäße Umgang des Dirigenten und Lehrers Dieter Kurz mit Musik, was sich im vielmehr qualitativen als quantitativen Produzieren von Tonträgern niederschlägt. Erhielt der Chor in der Vergangenheit für seine Aufnahme von Hugo Wolfs Chören mit Orchester von "Le monde de la musique" das Spitzenprädikat "choc" verliehen, so folgte im Jahr 2007 die CD „FigureJazz", die ein Cross-Over-Projekt mit dem international renommierten Jazz-Geiger Gregor Hübner beinhaltet. Hierfür wurden musikalisch-inhaltliche Parallelen in der Harmonik Francis Poulencs und des Jazz herausgearbeitet, was zu einer Gegenüberstellung der neuen Kompositionen Gregor Hübners und den „Sept Chansons" von Francis Poulenc führte, die am Schluss der Aufnahme zu einer Verschmelzung von Chor und Jazz-Ensemble gelangt. Der Reiz solcher Projekte und die Herausforderung für den Württembergischen Kammerchor sind die Einmaligkeit und Komplexität, die eher für den Moment als für die Tournee geschaffen sind. Dies zeigte auch das Programm „Friede anno 48" (Werke von Hartmann, Schütz und Schönberg), das zum Gedenken an 70 Jahre Kriegsbeginn 2009 aufgeführt wurde. Im Jubiläumsjahr 2010 wird diese Entwicklung im Rahmen des Stuttgarter Musikfestes der Internationalen Bachakademie fortgesetzt. In der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den letzten, von Wahn gezeichneten Lebensjahren Robert Schumanns, wird der Württembergische Kammerchor Schumanns „Missa sacra" in der Orchesterfassung der Auftragskomposition „De profundis für Schumann" von Gregor Hübner gegenüberstellen und zur Aufführung bringen. Die Brachialgewalt der existenzialistischen Form all dieser Projekte musikalisch inspirierend zum Ausdruck zu bringen, entspricht einer großen Leidenschaft des Ensembles und seines Leiters Dieter Kurz.

Die große Herausforderung besteht für ihn darin, dass „reine Chormusik", vor allem A-cappella-Kultur, nach wie vor nicht so populär ist und sich dem Zuhörer erst dann erschließt, wenn dieser selbst Chorerfahrung besitzt. Daher gehöre es in der chorischen Musikvermittlung mitunter zum Bedeutendsten, viele Menschen zu motivieren, selbst zu singen. Dem Hochschul-Lehrer Kurz ist wichtig, dass seine Studenten von Beginn an viele praktische Erfahrungen sammeln, um zu wissen, wie Menschen für die Musik und das Singen zu begeistern sind.

Roland Mahr
02.06.2010

Konzerthinweis

Samstag, 3. Juli 2010, 19 Uhr
Liederhalle Stuttgart, Beethovensaal

Großes Festkonzert „40 Jahre Württembergischer Kammerchor"
Giuseppe Verdi: Messa da Requiem

Ausführende:
Melanie Diener, Sopran
Renée Morloc, Alt
Donald Litaker, Tenor
Michael Volle, Bass
Württembergischer Kammerchor
Chor der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
Pauluschor Stuttgart
Stuttgarter Philharmoniker
Leitung: Dieter Kurz