40 Jahre Kölner Kantorei Drucken

Es war einmal eine Konzertabsage ...

Die Kölner Kantorei feiert ihr 40-jähriges Bestehen – Ein Rückblick

Vor langer, langer Zeit, als die Menschen viel anderes im Sinn hatten, fand sich eine kleine Truppe Musizierender zusammen, blätterte in Papieren, die mit Noten und Buchstaben gefüllt waren, probierte Melodien und Klänge und verzauberte schließlich die Menschen, die ihnen zugetan waren.

Was sich anhört wie der Beginn eines romantischen Märchens, war iin Wirklichkeit die bittere Notwendigkeit, innerhalb von vier Wochen einen musikalischen Ersatz für einen gebuchten ausgefallenen Chor zu organisieren. Volker Hempfling hatte Erfolg – nicht nur, weil er 24 Sängerinnen und Sänger zu diesem Ersteinsatz in Altenberg motivieren konnte, sondern weil aus dieser spontanen Aktion der Impuls für den Beginn einer inzwischen 40-jährigen, außergewöhnlich begeisternden Chorgeschichte entsprang. Denn dieser erste Konzerterfolg sollte kein Einzelfall bleiben ...

Eigentlich hat sich seit dieser Zeit nicht viel geändert – könnte man meinen. Auf mehr oder weniger spontanen Zuruf finden sich 25 bis 40 Sängerinnen und Sänger ein, kommen vorbereitet zu zwei bis drei Wochenenden zusammen und legen eine chorische Qualität hin, die von anstrengender Vorbereitungsarbeit und mühseligen Intonationsübungen im Konzert nichts mehr verraten darf. Außer natürlich dem hochkarätigen Klangergebnis.

Spontan ist allerdings relativ. Die Planungen für ein neues Programm erstrecken sich über Monate, oft Jahre, sodass eine organisatorische Hauptschwierigkeit darin besteht, die Mitwirkenden langfristig minutengenau zu verpflichten – im Wissen, dass Programm und Stimmrepertoire miteinander korrelieren müssen. Denn professionelle Chorarbeit ist nur mit einer über alle Probeneinheiten stabilen Besetzung und verantwortungsbewusst vorbereiteten Sängerinnen und Sängern zu gewährleisten.

Wurde früher mal kurz die letzte Freitagsvorlesung geskippt, um pünktlich an den Rhein anzureisen, müssen heute Meetings und Unterrichtseinheiten frühzeitig präpariert und ganze Familienstrukturen tagelang im Voraus organisiert sein, um sich freitags, wenn andere müde von der Woche vor dem Fernseher abspannen, ganz auf die Notentexte des beginnenden Probenwochenendes konzentrieren zu können. Da sind gründliche Planung, Idealismus und Professionalität gleichermaßen gefragt. Und das fängt alles bekanntlich ja lange vor dem ersten gemeinsamen Ton an.

Inzwischen reisen die Chormitglieder aus Bremen, Berlin oder Freiburg, den Niederlanden, Österreich oder der Schweiz an. Entstammten damals noch die meisten Mitwirkenden dem studentischen Umfeld, so ist heute im Kreis der rund 20- bis 60-jährigen Sängerinnen und Sänger besonders das Mittelfeld stark vertreten. Das bis heute erreichte Niveau macht es schwierig, auch ganz junge Leute für die aufwendige und anspruchsvolle Chorarbeit zu gewinnen. Doch der Chor ist immer offen für talentierten Nachwuchs ...

Heute gibt es kein Chormitglied ohne stimmbildnerische Vorerfahrung. Auch wenn naturgemäß kein Sänger des ersten Konzerts heute mehr dabei ist und andere nachgerückt sind: Aus der Tradition der Anfangstage stammend, besitzen immer noch viele der Sängerinnen und Sänger eine (kirchen- oder schul-) musikalische Ausbildung und haben eigene Chöre. Die gemeinsame Arbeit für Stimmbildung, Atemtechnik und Intonation nimmt einen großen Teil der Zeit in Anspruch – individuell und innerhalb der Probenphasen. Nur so erklärt sich die außergewöhnliche Klangerfahrung, die den Zuhörern in Konzerten der Kölner Kantorei seit Jahrzehnten geboten wird. So gehört es zu einer der Leitlinien des Chores, dem Publikum die ganze Reichweite Ihrer Klangspezialitäten zu Gehör zu bringen, indem verschiedene Gebäudeteile von Kirchen und Konzerträumen als Bühne und experimenteller Klangraum benutzt werden. Sphärische polyphone Schleier, massive glockentönige Volumina oder fragile, wie mit Engelshaar gesponnene Melodienbänder – alles ist möglich und spiegelt die Vielfalt und das musikalische Gespür von Choristinnen und Choristen und natürlich nicht zuletzt des Chorleiters.

In den letzten Jahren hat sich der Chor durch motivgeschichtlich zusammengestellte Programme einen Namen gemacht, oft epochenübergreifend von Bach über die Romantik bis hin zum zeitgenössischen Schwerpunkt. Immer inhaltlich motiviert, wird die Gestaltung der verschiedenen musikalischen Eigenheiten des Repertoires angelegt und ausgearbeitet. Ob Lichtstrahlen im aktuellen Programm „Du höchstes Licht“ vorsichtig sich durch die Klangschichten der anderen Stimmen drängen oder in gemeinsam gewaltigen Massen durch das Kirchenschiff des Altenberger Doms strömen: Immer unterstreicht die musikalische Interpretation das vertonte (meist) liturgische Wort.

Das war auch in den vorangegangenen Programmen so, als mit „Lux Aeterna“ das Himmlische in der Chormusik des 20. Jahrhunderts im Fokus stand oder „mit Menschen- und mit Engelszungen“ der Chor die spannungsreiche Polarität von Menschlichem und Himmlischem präsentierte. Das Geheimnis des jahrzehntelangen Erfolgs des Chores liegt mit Sicherheit auch hier verborgen: Nichts ist zwischen Himmel und Erde, was nicht durch Klänge und Gedanken im Raum schwingen und schweben kann, und das Publikum lebt und lauscht inmitten der Töne, die der Chor erstehen lässt. Was präsent ist, wird auf individuelle Weise offenbart, Verborgenes ausgegraben und zum Schatz geformt.

Apropos verborgener Schatz: Eine der jüngsten Chorarbeitsphasen widmete sich dem in den letzten Jahrzehnten in Verruf geratenen Volkslied. Die 2007 erschienene CD „Loreley“ umfasst mehr als 50 deutsche Volksliedsätze aus mehreren Jahrhunderten. Der Chor erzählt hier von Menschen und Sagen in zum Teil märchenhaften, zum Teil höchst realistischen Tönen.

Und wer den Chor bis heute aktiv oder passiv begleitet hat, wird feststellen: Es ist eine wahre Geschichte, dass über 40 Jahre die musikalische Qualität immer wieder gesteigert werden konnte. Und das sind doch tolle Aussichten auf die zukünftigen Konzerte und Tonträger der Kölner Kantorei ...

Kathrin Volkmann