Kammerchor CANTAMO Köln: „Unter den Linden“ (ca. 1954) von Robert Saar (1925-76) Drucken

Spannende Spurensuche, Wiederentdeckung und ein Video

Thumbnail image„Wessez iemen…“
(„Wenn’s einer wüsste…“; Walther v. d. Vogelweide aus Under der linden, um 1200)

Es ist November 2013, „umbrüche“, ein Projekt des Kammerchor CANTAMO Köln unter der Leitung von Vincent Heitzer, geht nach Monaten spannender Spurensuche und Probenarbeit in die Konzertphase.

Idee und Konzept ist die musikalische Entdeckung von Komponisten des Rheinlandes vor der Zeit der Änderung des Musikverständnisses in den 60er Jahren; zu Gehör gebracht wird selten (oder, wie im Folgenden beschrieben, vermutlich noch nie) gehörte Chormusik aus der Nachkriegszeit, die sozusagen von der Suche nach neuer Echtheit aus den Trümmern des Alten zeugt.

Mit dem Aufkommen atonaler, serieller oder elektronischer Musik gerieten leider manche Komponisten dieser Zeit des Umbruchs fast in Vergessenheit, während andere wiederum den musikalischen Faden zeitlebens weiterspinnen konnten oder nachkommende Musikergenerationen z.B. als Professoren beeinflussten.

Auf dem Programm steht u.a. Musik von Günter Raphael (1903-60), eine Messe von Heinrich Lehmacher (1891-1966), ein bemerkenswertes A-cappella-Stück von Josef Lammerz (*1930) und ein Zyklus von Friedrich Radermacher (*1924), der übrigens bis heute erfolgreich in Köln komponiert.

„Besäße ich doch ein Licht in der Stirn, das so viele meiner Brüder ungerührt vergeuden.“ (Robert Saar)

Ein ganz spezieller Fund, zunächst unauffällig in die Probenroutine eingereiht, gelingt dem Chor allerdings mit der mutmaßlichen Uraufführung von „Unter den Linden“ (ca. 1954) des blinden Komponisten Robert Saar (1925-76) nach einem Gedicht des Minnelyrikers Walther v. d. Vogelweide. Die handschriftliche Partitur zu Kopie und Aufführung wird uns dank des Engagements unseres Chormitglieds Charlotte Esser, deren Vater ein Freund Saars gewesen ist, vom Bibliografen Peter Gnoss vertrauensvoll zur Verfügung gestellt.

Erst während der Recherchen für die Hintergrundinformationen im Hinblick auf das Programmheft schält sich eine Besonderheit dieser „Erzählung für gemischten Chor a cappella“ heraus. Aufgrund eines unbefriedigenden Internet-Eintrags auf Wikipedia und in Ermangelung jeglichen Hinweises auf Entstehungszeit und/oder Veröffentlichung müssen nun andere Quellen aufgetan werden. „Unter den Linden“ jedoch findet sich nirgends gelistet oder genannt; während der Proben entwickelt es sich aber mit seiner dezent an Hindemith erinnernden (Saar hatte früh bei einem Schüler Hindemiths, Artur Grenz, Unterricht) und von fränkischen Wurzeln beeinflussten Tonsprache mehr und mehr zu einer Art Lieblingslied des Chores und für mich persönlich zu einer echten Herzensangelegenheit.

Erst im Anschluss an unsere Konzerte, nachdem ich neugierig auf eigene Faust weitere Recherchen in Angriff genommen habe, fügen sich dann viele Details zu einem genaueren Bild zusammen. Es zeigt sich, dass der 1925 in Bad Kissingen geborene Musiker ein abwechslungsreiches, wenngleich in Archiven verstaubendes, so doch aber vergleichsweise umfangreiches Oeuvre hinterließ: Klavier- und Kammermusik, Orchesterwerke, Konzerte und Cello-Sonaten sowie Lieder, insbesondere zahlreiche Vertonungen der Lyrik seines Kölner Freundes Heinrich Roggendorf.

Fündig werde ich teils im direkten persönlichen Kontakt mit noch lebenden Weggefährten Saars, wie z.B. seinem süddeutschen Studienkollegen Prof. Karl Haus, mit dem ich brieflich wie telefonisch ausgesprochen netten Austausch habe oder dem späteren Klavierlehrer von Ehefrau Christine Saar, dem Schwanfelder Komponisten/Pianisten Gernot Tschirwitz, u.a. Mit-Organisator des Robert-Saar-Gesangwettbewerbs in den 80er Jahren („[…] umso überraschender für mich, dass ein mir bisher unbekanntes Chorwerk […] von Ihnen ausgegraben und aufgeführt wurde. Ich bin äußerst interessiert daran, dieses Werk kennenzulernen.“). Ebenfalls telefoniere ich mit einem Freund und Förderer Saars während dessen Kölner Zeit ab 1967, Dr. med. Wilhelm Pilgram und sogar der damaligen Leiterin der Ballettschule Götz-Wolff in Köln-Porz, an welcher Robert Saar in den 70ern als Pianist/Korrepetitor engagiert war, nachdem er bereits Ende der 60er resigniert das Komponieren aufgegeben hatte („[…] Herr Saar war der verlässlichste und angenehmste Mitarbeiter, den ich jemals hatte.“).

Doch niemand vermag ein Chorstück solchen Namens zu erinnern oder auch nur dessen Erwähnung während der damaligen Zeit.

Thumbnail imageEin Tipp von Prof. Haus, mich mit dem Studio Franken des Bayrischen Rundfunks in Verbindung zu setzen, deren MitarbeiterInnen sich übrigens ausnehmend kooperativ zeigten, bringt zumindest dahingehend Erfolg, dass auch dort nichts über „Unter den Linden“ vorliegt, trotz erstaunlich reichhaltiger Archivierung von Werken Saars aus den 50er/60er Jahren, deren Aufnahmen dort damals hauptsächlich vom rührigen Mitarbeiter Willy Spilling gemacht wurden.

Auch die Tatsache, dass ohnehin nur sehr wenige offiziell verlegte Kompositionen im Umlauf sind, erschwert eine solide Einordnung des Stückes, befeuert jedoch auch den gewissen Zauber darum, was schließlich Anfang 2014 den Ausschlag für die begeisternde Idee gibt, das Werk als erste derartige Präsenz des Chores per Internet-Video zu verbreiten und unserer mutmaßlichen Uraufführung ein angemessenes Bild- und vor allem Tondokument beizufügen.

Inzwischen wurde das Video schon über 1000 Mal allein auf youtube angeschaut und –gehört („[…] Sie haben sich mit der ausgezeichneten Choraufnahme verdient gemacht, und wir sind Ihnen alle dankbar dafür“, Gernot Tschirwitz, März 2014)

„[…] gab es damals noch keine musikalische Blindenschrift. Er saß also mit einem kleinen Blindendiktiergerät da und hat alles notiert und es sich dann am Klavier zurechtgesucht. Seine Kompositionen hat er genauso aufgegeben und diktiert. Ich habe viel für ihn geschrieben und ihn vor seinem Examen am Klavier korrepetiert, indem ich ihm vor- und er mir nachgespielt hat. Diese Gedächtnisleistung können Sie – wenn Sie das nicht selber erlebt haben – nur schwer würdigen! Er hat eine sehr sensible Musik komponiert und vor allen Dingen auch stimmungsmäßig schreiben können. In seiner Musik war nie ein großer Zug oder Wuchtigkeit.“ (Prof. Karl Haus über Robert Saar, Interview an der Musikhochschule Würzburg, 2011)

Ich danke Charlotte Esser für die Wortwahl zur Konzeption des Projektes „umbrüche“ und insbesondere Peter Gnoss für die teilweise Verwendung seines Artikels aus „Fermate“ (Heft 24/2, 2005), komplett einzusehen auf unserer Internetseite.

Information/Video: www.cantamo.de | Wikipedia

Erfahrungsbericht zur Videoproduktion

Es wurde gemeinsam entschieden, keine Live-Aufnahme ins Netz zu stellen, sondern zur scheinbaren Erleichterung und Zeitersparnis zunächst zeitnah unter finanziell günstigen Bedingungen ohne größeren Aufwand in Ruhe die Audio-Spur aufzunehmen, um dann an geeigneter Location im Playback-Verfahren das passende Bild zu synchronisieren.

Wie sich aber bald herausstellte, war dies kein so ganz unkompliziertes Unterfangen, da zum Einen ausreichende Erfahrungen mit Playback den meisten Chormitgliedern fern lagen (zumal vor allem das Playback-Dirigat (!) eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellte), zum Anderen eine tatsächlich „geeignete“ Location (ziemlich weltliches Stück…!) nicht am Wegesrand daherkam und auch die bildliche Umsetzung auf nicht-professioneller Ebene schnell Grenzen aufwarf.

Für ein digitales Endergebnis sollte man m. E. nur rundweg digitales Equipment nutzen und von Beginn an die später nötige Datenkompression einkalkulieren; darüber wissen Profis Bescheid. Ein Smartphone irgendwo draufzuhalten ergibt ja kein wirkliches Video, funktioniert aber für die meisten Belange; man sieht es überall im Internet.

Für ein wirklich aussagekräftiges Video mit ein wenig bildästhetischem Anspruch braucht es auch etwas mehr technischen und finanziellen Aufwand; mit ein wenig Talent und dem nötigen Schnittprogramm kann man das heutzutage sicher ohne großes Portemonnaie erledigen, aber es gibt einen Grund dafür, warum Profis so etwas wirklich GELERNT haben - man sieht es, eben, überall im Internet...

Unser Video ist unter den beschriebenen Umständen recht schön anzuschauen und war preiswert; ein Proben-Abend (2h) für die Audio-Aufnahme, Bearbeitung privat von Ton-Ingenieur aus eigenen Reihen ohne Honorar, Location günstig über Beziehungen, Beleuchtung mietfrei über Beziehungen, ein weiterer Proben-Abend für Playback-Singen, die Kameraarbeit und das Editing für semi-professionelles Niveau preislich angemessen honoriert (1 Mann, 2 Kameras; Festpreis (!) incl. Editing und Hochladen bei youtube).

Michael Burger, Kammerchor CANTAMO Köln
15.12.2014