VDKC-Präsident Ekkehard Klemm zum Chorsingen in Zeiten von Corona Drucken

Coronavirus (Foto: Wikepedia, Lores, 23311, Ausschnitt)Mit geduldiger Kreativität und sensibler Wachsamkeit

Liebe Chorsängerinnen und Chorsänger,
verehrte Dirigentinnen und Dirigenten und Vorstände,

dass ausgerechnet das Singen als älteste, am längsten praktizierte und natürlichste künstlerische Äußerung durch die Coronakrise zur – bisweilen sogar tödlichen – Gefahr wird, ist eine grausame Pointe der Evolution der Menschheitsgeschichte, an der wir alle im Moment schwer zu tragen haben.

Ungeduld werden Entscheidungen erwartet, die Maßnahmen der Lockerung ersehnt, mit Kopfschütteln Regeln registriert, die einer versprengten Menge von Zuschauern womöglich ein Theaterstück präsentieren, bei denen Szenen der Liebe oder des Todes mit sechs Meter Abstand gespielt werden sollen… Sinfonien, Oratorien, Opern, Konzerthäuser, Theater – alles nur Irrtümer einer nach immer größer, lauter, länger und repräsentativer dürstenden Hybris menschlicher Kreativität? Ein durch Corona explodierter „ästhetischer Apparat“ (Helmut Lachenmann), den das Virus nunmehr auf digitale Formate, Kleinstproduktionen und Balkonkonzerte zurückschrumpft?

Künstlerinnen und Künstler sind ‚Seismographen der Seele‘. Chöre, insbesondere auch Laienensembles nehmen über zahlreiche Sängerinnen und Sänger aus medizinischen Berufen ganz besonders und oft sehr direkt die Not derer wahr, die durch das Virus echtes Leid, Verlust und Tod erlebt haben. Darüber singend hinwegzugehen, kann am wenigsten das Ziel einer Kunstgattung sein, zu der sich auch viele ältere ‚Risikopatienten‘ hingezogen fühlen. Die Diskussionen dieser Tage aber reichen von „ist doch alles halb so wild“ über „gestorben wird immer“ bis hin zu simplen Rechnungen, wie hoch denn die Letalitätsrate wirklich gewesen sei. Die Angstvollen werden schnell als Bremser oder Spinner wahrgenommen. Die Härte der Argumente ist oft irritierend. Erwiesen ist, dass die größten Infektionsherde bisher Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen gewesen sind. Dass Chöre zu diesen Risikogruppen gehören, mag frustrierend und die noch unklare wissenschaftliche Situation unbefriedigend sein. Aber wollen, ja könnten wir uns als künstlerisch tätige Menschen tatsächlich damit abfinden, wenn durch unser Tun jemand zu gesundheitlichem oder gar lebensbedrohlichem Schaden kommt? Dies ist wohl die alles entscheidende Frage, der sich alle Verantwortlichen immer neu stellen müssen.

Kunst um der Kunst Willen, Singen um jeden Preis wird keine Lösung sein. Kein Chorverband kann derzeit raten, die Gefahren nicht zu ernst zu nehmen. Mit geduldiger Kreativität sollten wir alle Möglichkeiten künstlerischer Tätigkeit prüfen – ich sage bewusst geduldig, denn Ungeduld, so sehr sie zu verstehen und uns allen zu eigen ist, führt uns in dieser Lage nicht weiter. Und mit sensibler Wachsamkeit, mit Rücksicht auf die Schwächeren sollten wir alles ausloten, was unsere wundervolle Kunst zurückbringt und mit neuem Leben füllt.

Der folgende Überblick mag dazu ein vorläufiger und sicher unvollständiger Leitfaden sein.

Ich grüße Sie in Verbundenheit - Ihr Ekkehard Klemm
Präsident des Verbandes Deutscher KonzertChöre

Naustadt/Dresden/Weimar, den 15.05.2020

Weiter zum Beitrag "VDKC-Präsident Ekkehard Klemm: Singen während der Corona-Pandemie - Eine vorläufige Zusammenfassung aktueller Empfehlungen, Richtlinien und Bestimmungen."