Reaktionen auf den VDKC-Appell zum künstlerischen Laienschaffen und neue Erkenntnisse zur Aerosolbildung beim Singen Drucken

Aktuelle Informationen des VDKC-Präsidenten Ekkehard Klemm

In seinem Sommerrundschreiben an die VDKC-Mitgliedschöre und Gremien informiert VDKC-Präsident Ekkehard Klemm über die Resonanz auf den VDKC-Appell zum künstlerischen Laienschaffen aus der Politik. Eine Übersicht neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Aerosolbildung beim Singen als Bewertungsgrundlage für die Chorpraxis wird den VDKC-Mitgliedschören bei ihren Entscheidungen zum Wiedereinstieg in die Chorarbeit helfen:

Liebe Freundinnen und Freunde,

bevor sicherlich viele von uns – mich selbst eingeschlossen – in den wohlverdienten Urlaub gehen, möchte ich Ihnen allen für die Mitwirkung und Unterstützung unserer Aktion gegenüber Mitgliedern des Bundestages, der Land- und Kreistage sowie Stadträte danken. Unsere Briefe sind vielerorts verteilt worden, was nicht zuletzt durch etliche – durchaus verständnisvolle – Reaktionen dokumentiert werden kann. Das Generalsekretariat sammelt alle Rückmeldungen und wird zu gegebener Zeit eine Übersicht zu dokumentarischen Zwecken zur Verfügung stellen.

Aus dem Haus von Staatsministerin Frau Prof. Grütters hat uns Martin Eifler geantwortet – ich darf ihn im Ausschnitt zitieren:

„Auch unser Haus teilt die in Ihrem Brief geäußerte Sorge um den Chorgesang. Ja – es gab diese Fälle, wie beim Berliner Domchor, die auch das Verständnis der Ausbreitung des Virus beeinflusst haben und damit aber auch die Angst im Umgang mit dem Thema Chor. Frau Grütters persönlich wird immer wieder beim Arbeitsminister und beim Robert-Koch-Institut vorstellig, um hier zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken bei Singenden und Musizierenden zu kommen. Sie hat auch die Studien u.a. der Charité unterstützt, die dann zu einer Veränderung der Abstandsregeln bei Bläsern geführt hat. Gerade als Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores und des RIAS-Kammerchores bei Studien mitwirkten, kam das generelle Sangesverbot des Berliner Senats, das auch uns entsetzt hat, zumal mit den Betroffenen vorher nicht einmal gesprochen wurde. Das ist genau jene mangelnde Wertschätzung, die Sie zu Recht kritisieren. Wir hoffen, dass in der kommenden Woche endlich Gespräche geführt werden und es zu einer Novellierung kommt, die das Arbeiten auch in Berlin wieder ermöglicht. Sie kritisieren die fehlende Abstimmung von Bund und Ländern, die sich auch an diesem Beispiel zeigte. Bund und Länder haben nur Rahmenvereinbarungen getroffen, so zum Verbot von Großveranstaltungen bis Oktober oder zur allgemeinen Maskenpflicht. Die konkreten Entscheidungen treffen aber die Länder und Kommunen in ihrer Zuständigkeit und Verantwortung. Und so passiert es eben, dass die Thomaner wieder mit einem eigenen Hygienekonzept in kleinen Gruppen proben und auftreten können, während die Domspatzen in Regensburg oder der Dresdner Kreuzchor dies noch nicht durften. Hier zeigt sich in der Tat eine unterschiedliche Wertschätzung von künstlerischer Arbeit – aber hierauf hat der Bund keinen unmittelbaren Einfluss.

Es gibt Besonderheiten beim Gesang, die man nicht wegdiskutieren kann und die zu besonderer Vorsicht mahnen. Die Durchlüftung von Räumen, die Qualität von Belüftungsanlagen z. B. in Konzertsälen, spielt neben dem Abstand eine große Rolle. Wir werden daher im Rahmen unsere Fördermaßnahmen für pandemiebedingte Investitionen für den Musik- und Theaterbereich, auch Mittel für die Modernisierung von Belüftungsanlagen einsetzen. In Flugzeugen sollen übrigens die Aerosole durch die Technik soweit abgesaugt und gefiltert werden, dass keine erhöhte Gefährdung mehr davon ausgeht. Wenn diese Qualität erreicht ist, müsste das auch im modernen Konzertsaal möglich sein. Hier stellt sich die Frage der Gleichbehandlung und auch der Plausibilität – hierin haben Sie völlig Recht.“

Wir können also insgesamt davon ausgehen, dass unser Ruf gehört wurde und seine Adressaten erreicht hat. Nicht zuletzt haben wir damit laut und vernehmlich auf den VDKC als aktiven und um das Chorsingen kämpfenden Verband aufmerksam gemacht.

Die Lage der verfügbaren neueren wissenschaftlichen Ergebnisse ist nach wie vor wenig befriedigend, wenn auch mit einigen Lichtstreifen am Horizont. Drei der wesentlichsten Ergebnisse finden Sie unter den folgenden Links, das jeweilige Fazit habe ich zur schnelleren Übersicht herausgefiltert:

Studie München Prof. Dr. Echternach et al.

Die Auswertung der Messungen über die abgestrahlten Aerosol-Wolken ergab: Zu ihren Kollegen nach vorne sollten die Chormitglieder einen größeren Abstand einhalten als zur Seite. Immer vorausgesetzt, dass der Raum permanent gelüftet wird und damit die Aerosole regelmäßig durch Frischluft entfernt werden. Besser wäre es zudem noch, wenn es zwischen den Sängerinnen und Sängern Trennwände gäbe.

"Wir haben nach vorne hin im Mittel Abstände von etwas weniger als einem Meter für den gesungenen Text gemessen, einige Sänger erreichten allerdings auch Weiten von 1 bis 1,5 Meter, so dass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von 2 bis 2,5 Meter sinnhafter erscheinen. Die Daten beziehen sich allerdings nur auf die direkte Ausbreitung durch den Eigenimpuls beim Singen. Für die Sicherheit der Sänger ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln“, sagt Matthias Echternach.

"Zur Seite hin fanden wir deutlich geringere Abstände als nach vorne, so dass die Abstände hier geringer gewählt werden könnten, etwa 1,5 Meter. Auch hier gilt die permanente Zufuhr von Frischluft, um die Aerosole aus der Luft zu entfernen", so Stefan Kniesburges.

Studie Prof. Dr. Mürbe et al. Mürbe

Eine Möglichkeit der Risikoreduktion liegt in einer Verkürzung der Probenzeit, wobei mit den im vorliegenden Beispiel gewählten 2 Probensegmenten von jeweils 30 Minuten und zwingender Zwischenlüftung ein auch aus künstlerischer Sicht praktikabler Kompromiss für die Modellrechnung angesetzt wurde. Zur Erhöhung des Luftvolumens pro Person sollten für Chorproben möglichst große Räume ausgewählt werden. Die Anzahl der Sängerinnen und Sänger muss reduziert werden, wobei sich allein aufgrund des zum Schutz vor Tröpfchen ratsamen Abstandes eine Begrenzung der Anzahl der Personen im Raum ergibt. Ein wesentlicher Faktor zur Risikoreduktion liegt in den zur Verfügung stehenden Lüftungsoptionen, wobei sowohl Fensterlüftung als auch maschinelle Lüftung verglichen wurden. Insbesondere eine adäquate maschinelle Belüftung hat ein erhebliches Potential zur Risikoreduktion und sollte nach Möglichkeit bevorzugt werden. Auch durch Fensterlüftung kann eine erhebliche Risikoreduktion erreicht werden, die allerdings erheblich von den Witterungsbedingungen abhängig und schwer einzuschätzen ist. Gerade bei sehr kurzen Pausenzeiten muss beachtet werden, dass eine Fensterlüftung unter Umständen für eine relevante Senkung der Aerosolkonzentration nicht ausreicht. Die Betrachtungen zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei optimaler Ausschöpfung der verschiedenen Handlungsoptionen Chor- und Ensemblegesang realisierbar ist, auch wenn ein verbleibendes Restrisiko einer Infektion adressiert werden muss. Ensemblegröße und -aufstellung, Probenkonzeption, Raumgröße und Lüftungskonzept sind effektive Instrumente der Risikoreduktion in Ergänzung der grundlegenden Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln. Aufgrund des hohen Stellenwertes des Singens in den Bereichen Kultur und Bildung ist ein bestmögliches Risikomanagement von besonderer Bedeutung, um in Zusammenarbeit mit privaten und öffentlichen Entscheidungsträgern individualisierte Proben- und Aufführungskonzepte für den Chorgesang zu ermöglichen.

Deutsches Ärzteblatt; Michael Klompas et al., Harvard Medical School

Trotz der experimentellen Daten zu einer möglichen aerosolbasierten Übertragung ließen sich die Infektionsraten in der Bevölkerung nur schwer mit einer aerosolbasierten Ansteckung über größere Distanzen vereinbaren…

„Entweder ist die Menge an SARS-CoV-2, die für eine Infektion nötig ist, viel größer als bei Masern, oder Aerosole sind nicht der dominante Übertragungsweg“, schreiben Klompas und sein Team.

„Menschen mit einer SARS-CoV-2-Infektion produzieren möglicherweise konstant Tröpfchen und Aerosole, aber die meisten dieser Ausscheidungen infizieren niemanden“, so Klompas und Kollegen. Das spreche mehr für Sekrete, die schnell und innerhalb eines kleinen Radius zu Boden fallen, als für virusgeladene Aerosole, die stundenlang in der Luft schweben. …

Eine Ausnahme sehen die US-Mediziner in der andauernden Exposition gegenüber einer infizierten Person in einem schlecht belüfteten Raum. In diesem Fall könne es passieren, schreiben sie, dass sich ansonsten nicht signifikante Mengen an virusbeladenen Aero­solen ansammelten und zu einer Ansteckung führten.

Die differenzierte Lage hat leider nicht verhindert, dass in einigen Bundesländern Richtlinien herausgegeben wurden, die das Singen in den Schulen im neuen Schuljahr generell verbieten oder einschränken. Entsprechende Petitionen gegen ein solch generalisiertes Verfahren sind von mir unterzeichnet worden – es handelt sich genau um jene unverständlichen Entscheidungen, die wir in der Stellungnahme gegenüber den Abgeordneten kritisiert haben.

Sehen wir dennoch mit Optimismus und Hoffnung auf einen Neubeginn auch des Chorsingens. Ich selbst konnte mit der Singakademie Dresden bereits Proben mit je 30 Personen in einem entsprechend großen Saal abhalten (seit Juni). Und mit der Elbland Philharmonie Sachsen konnte ich am 11.07. ein Konzert mit 60 Musikerinnen und Musikern vor über 600 Zuschauern aufführen. Wir haben alle verfügbaren Möglichkeiten ausgenutzt und die Vorgaben bis zur größten Belastbarkeit erfüllt. Das ist das, was ich in meinem Statement vom Mai 2020 mit „geduldiger Kreativität und sensibler Wachsamkeit“ meinte.

In diesem Sinne grüße ich Sie alle herzlich, wünsche eine erholsame Zeit und freue mich auf alle Wiederbegegnungen in den Gremiensitzungen, Konzerten und Chorfesten der kommenden Saison!

Ihr
Ekkehard Klemm
22.07.2020