Die virtuelle Mitgliederversammlung – legitim und praktikabel? Drucken

Versammlungen mit Hilfe der neuen Medien auch über große Entfernungen möglich

Virtuelle Mitgliederversammlung - Legitim?Chöre halten viel auf ihre klassische Mitgliederversammlung. Es ist eine besondere, häufig festlich umrahmte, Versammlung im Jahreslauf, zu der vom Vorstand nach der in der Mitgliederversammlung gesetzten Frist eingeladen wird.
Seit neuestem (27.09.2011) kann eine Mitgliederversammlung nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm (I-27 W 106/11) auch online, also virtuell durchgeführt werden. Antragsteller war im dortigen Verfahren ein mit seinem Satzungszweck vor allem im Internet tätiger Verein zur Hilfestellung für Menschen mit Alkoholproblemen und deren Angehörigen im Internet.

Dieser Verein änderte seine Satzung im Hinblick auf die Mitgliederversammlung wie folgt:
(1) Der Vorstand lädt, unter Angabe der vorläufigen Tagesordnung, mit einer Frist von vier Wochen zur Mitgliederversammlung per Email an die letzte vom Mitglied dem Vorstand mitgeteilte Emailadresse bzw. auf ausdrücklichen Wunsch des Mitglieds, das über keinen eigenen Internetzugang verfügt, per einfachem Brief postalisch.
(2) Die Mitgliederversammlung erfolgt entweder real oder virtuell (Onlineverfahren) in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chat-Room.
(3) Im Onlineverfahren wird das jeweils nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort mit einer gesonderten Email unmittelbar vor der Versammlung (maximal drei Stunden davor), bekannt gegeben. Ausreichend ist dabei die ordnungsgemäße Absendung der Email an die letzte, dem Vorstand bekannt gegebene Email-Adresse des jeweiligen Mitglieds. Mitglieder, die über keine Email-Adresse verfügen, erhalten das Zugangswort per Post an die letzte dem Vorstand bekannt gegebene Adresse. Ausreichend ist die ordnungsgemäße Absendung des Briefes zwei Tage vor der Mitgliederversammlung. Sämtliche Mitglieder sind verpflichtet, ihre Legitimationsdaten und das Zugangswort keinem Dritten zugänglich zu machen und unter strengem Verschluss zu halten."

Das Amtsgericht lehnte die Eintragung dieser Satzungsänderung ab. Auch wenn ein spezieller Chat-Raum verwendet werde, bestehe die Gefahr, dass sich eine fremde Person Zugang verschaffe und sich als Mitglied ausgebe. Des Weiteren könne auch nicht festgestellt werden, ob die anwesenden Mitglieder geschäftsfähig seien. Der Gesetzgeber habe der Versammlung der Mitglieder als Hauptentscheidungsorgan eine besondere Stellung im Vereinsleben zugedacht, der auch durch das physische Zusammenkommen Rechnung getragen werde.

Gegen diese Entscheidung wandte sich der die Einladung betreibende Verein mit der Feststellung, die Mitglieder würden ausreichend klar darüber unterrichtet, ob die Versammlung real oder virtuell durchgeführt werde. Die Sicherheit sei durch Verwendung eines speziellen Chat-Raums mit Passwörtern gewährleistet und die Gefahr, dass sich eine vereinsfremde Person Zugang zu diesem Chat-Raum verschafft, sei auf ein Minimum reduziert.

Das Oberlandesgericht Hamm ist der Auffassung des Amtsgerichts nicht gefolgt und hat die Satzungsänderung des Vereins akzeptiert.

Das heißt: Wenn der Verein das will und eine entsprechende Satzungsformulierung vornimmt, kann er anstelle einer „klassischen" Mitgliederversammlung auch eine virtuelle vorsehen. Das war in der Literatur bis jetzt schon herrschende Meinung, ist aber jetzt erstmals durch ein Obergericht festgestellt worden. Auch mit dem Hinweis, dass beide Formen der Mitgliederversammlung alternativ in der Satzung geregelt sein können.

So lässt sich beispielsweise eine außerordentliche Mitgliederversammlung, um reine Formalien abzuhandeln, die von der Mitgliederversammlung beschlossen werden müssen, auf virtuellem Wege durchführen und ohne großen Zeit- und Kostenaufwand; andere, vor allem gesellige Versammlungen, können weiterhin auf klassische Weise durchgeführt werden.

Wichtig ist, dass die Satzungsänderung sorgfältig formuliert und bei der praktischen Durchführung virtueller Mitgliederversammlungen auch präzise eingehalten wird.

Virtuelle Mitgliederversammlung - Praktikabel?Für Chöre wird die virtuelle Mitgliederversammlung sicherlich noch längere Zeit die Ausnahme bleiben. Es ist aber gut zu wissen, dass es sie gibt und man sich auf diese Weise an entsprechenden, geeigneten Stellen das Vereinsleben erleichtern kann.

RA Christian Heieck
11.11.2013

Quelle: „Singen. Die Zeitung des Schwäbischen Chorverbandes" (Ausgabe 7/8 2013) mit freundlicher Genehmigung des Verfassers

Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtspraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.