Der Städtische Chor Leverkusen erhält die Zelter-Plakette für 100 Jahre Chorarbeit Drucken

Rückblick auf eine bewegte Chorgeschichte

Thumbnail imageDer Städtische Chor Leverkusen besteht in diesem Jahr seit 100 Jahren. Eigentlich sollte dieses Jubiläum gebührend gefeiert werden. Ende Mai war im Forum Leverkusen ein festliches Jubiläumskonzert mit Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy und Karl Jenkins geplant, begleitet durch eine Chorfeier und die Ausgabe einer Festschrift. Doch die Corona-Pandemie zwang den Chor, wie schon so oft in den vergangenen 100 Jahren, schwierige Zeiten zu meistern und flexibel zu denken. Somit wurden auf halbem Weg die Planungen aufgrund der unsicheren Situation auf Eis gelegt und das Jubiläumskonzert schweren Herzens in das kommende Jahr verschoben. Doch aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben, und so hofft der Chor mit einem ganz besonderen Jubiläumskonzert im Jahr 2022 stolze 101 Jahre Chorgeschichte zu feiern.

Die Verleihung der Zelter-Plakette anlässlich des 100-jährigen Bestehens konnte aber glücklicherweise stattfinden. Der VDKC lud am 26. September 2021 zu einem Festakt in die Philharmonie Essen ein. Im Auftrag des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier überreichten Dr. Michael Reitemeyer (Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW) und Paul Schulte (AG Amateurmusik) in feierlichem Rahmen die Zelter-Plakette und Ehren-Urkunde den beiden Chorvorsitzenden Raimund Brunberg und Klaus-Dieter Fritz.

Wie bereits erwähnt, hat es schwierige Zeiten wie diese im Verlauf der Chorgeschichte mehrmals gegeben. Hubert Havenith, der als Volksschullehrer in Wiesdorf (Leverkusen gab es damals noch nicht) tätig war, gründete 1921 den Konzertchor Wiesdorf und trat am 16. November 1921 mit 80 Sängerinnen und Sängern zusammen mit dem Streichorchester der Bayerwerke im Erholungshaus auf. Die folgenden Jahre waren durch zunehmende finanzielle Schwierigkeiten und eine galoppierende Inflation geprägt. Zum zweiten Konzert, im März 1923, kostete der Eintritt 100 Millionen Mark. An der Abendkasse musste jedoch ein zusätzliches Eintrittsgeld erhoben werden, um wenigstens die Reisekosten der Solisten zu decken.

Thumbnail imageHavenith wollte musikalische Erziehungsarbeit leisten und gründete eine Sing­schule für Kinder, eine Chorschule für den Nachwuchs des Konzertchors und eine Instrumentalgruppe. Sie zählte im November 1923 bereits 22 Mitglieder. Sie war der Vorläufer der heutigen Musikschule der Stadt Leverkusen, die Havenith bis zu seiner Pensionierung 1952 leitete.

Ab 1933 wurde die Kultur in zunehmendem Maße politi­siert. Auch die Oratoriengesellschaft Wiesdorf, wie der Chor sich inzwischen nannte, blieb davon nicht verschont. Die „politisch korrekte“ Programmgestaltung wurde schwierig, dennoch schaffte es Havenith 1937 gegen massive Widerstände die Matthäuspassion Bachs auf sein Konzertprogramm zu setzen. Mit einer letzten Aufführung desselben Werks musste der Chor im März 1944 seine Tätigkeit vorübergehend einstellen. Unmittelbar nach Kriegsende trommelte Havenith seine Chorsänger wieder zusammen, nahm unter schwierigsten Umständen die Proben auf und brachte bereits am 25. November 1945 als eine der ersten kulturellen Nach­kriegsveranstaltungen in Leverkusen Brahms' „Deutsches Requiem".

Sein Nachfolger ab 1952, Paul Nitsche, pflegte das klassische Oratorien­programm wie sein Vorgänger. Neben den großen Konzerten för­derte er jedoch auch die Moderne, veranstaltete „Offene Sin­gen" – häufig mit dem Westdeutschen Rundfunk oder setzte Chormusik der Gegenwart aufs Programm. Nitsche ver­stand es, den Chor zu verjüngen, aus dem etwas schwer­fälligen, großen Oratorienchor der Vergangenheit eine Chorgemeinschaft mit kammermusikalischer Elastizität zu bilden. Er gab dem Chor sein heutiges, zeitgemäßes Gepräge. Nitsche leitet den Chor bis 1985.

Nach einem kurzen Intermezzo mit verschiedenen Chorleitern übernahm 1988 schließlich Helmut Breidenstein, ein erfahrener Konzert- und Operndirigent, die Leitung des Chores. Neben bekannten Klassikern von Bach, Händel, Mozart oder Verdi kamen nun auch weniger bekannte oder moderne Chorwerke ins Programm: Rossini, Pfitzner, Boulanger oder Janácek. Sie wurden teilweise gemeinsam mit befreundeten Chören in Gemeinschaftskonzerten aufgeführt. Ein Höhepunkt des Chorlebens war zweifellos eine Konzerttournee in die Normandie mit Rossinis „Petite Messe Solennelle".

Bis Anfang der neunziger Jahre wurde das Konzertpro­gramm des Städtischen Chores zu wesentlichen Teilen von der Stadt Leverkusen unterstützt, das ihm die Auffüh­rung zwei großer Konzerte pro Jahr ermöglichte. Diese schon zur Gewohnheit gewordene Praxis änderte sich dann jedoch rasch durch massive finanzielle Engpässe auf städtischer Seite. Der einzige weltliche Oratorienchor dieser Stadt musste plötzlich mit drastisch reduzierten Mitteln versu­chen, weiterhin ein anspruchsvolles Programm zu bieten. Es galt Werke zu finden, deren Aufführung mit moderatem finanziellen Aufwand zu stemmen waren und auch bekannt genug waren, um viele interessierte Zuhörer zu gewinnen. Doch selbst bei gut besuchten Konzerten bliebt jedes große Chorkonzert meist ein Zuschussgeschäft. Eine langfristige Konzertplanung war in diesen Zeiten kaum möglich. Doch dem unermüdlichen Einsatz von Helmut Breidenstein, hochwertige Musiker und Solisten zu engagieren, die der Chor eigenständig zu finanzieren in der Lage war, war es zu verdanken, dass trotz der schwierigen finanziellen Situation ein- bis zweimal im Jahr ein großes Konzert kostendeckend stattfinden konnte.

Helmut Breidenstein übergab den Taktstock nach einer Übergangsphase an seinen derzeitigen Leiter Michael Utz, dem Kantor der Abteikirche Brauweiler. Der neue Chorleiter versuchte von Anfang an, die Kontakte zur Leverkusener Kulturszene zu intensivieren und Möglichkeiten von Kooperationen auszuloten, nicht ohne den Hintergedanken, neue Interessenten für den oratorischen Chorgesang zu gewinnen. So gelang es ihm, eine große Zahl von Musikern unterschiedlicher Instrumentalensembles der Musikschule, des Städtischen Chores und weiterer kleinerer Chöre zu einem großen harmonischen Ganzen zu vereinen, was in einer fantastischen Aufführung von Orffs Carmina Burana am 29. Mai 2010 im ausverkauften Forum mündete. Ein attraktives Konzertprogramm auf die Beine zu stellen, welches nicht nur die allerorten gehörten Standardwerke enthält, trotzdem aber Zuhörer anspricht, wird bei den immer enger werdenden finanziellen Spielräumen zunehmend schwieriger und braucht viel Fantasie und Kreativität.

Die Corona-Pandemie hat viele Kulturschaffende stark getroffen, so auch den Städtischen Chor Leverkusen. Fast eineinhalb Jahre lang waren normale Präsenzproben nicht oder nur unter großen Einschränkungen möglich. Um den Chor weiterhin zusammenzuhalten, wurden virtuelle Zoom-Proben abgehalten, die dem Chorleiter zwar einiges an zusätzlichem Aufwand bescherten, aber zumindest das Erlernen der eigenen Chorstimme ermöglichten. Und es hat gut getan, die anderen Chorsängerinnen und Chorsänger zu sehen und sich in den Pausen auszutauschen. Seit wenigen Wochen haben nun auch die Präsenzproben wieder begonnen, allerdings hat die Pandemie doch ihre Spuren hinterlassen. Manche Chormitglieder sind abgesprungen, andere sind noch zögerlich an den Präsenzproben teilzunehmen, und es besteht Nachholbedarf beim Einstudieren der Stücke trotz virtueller Proben. Dies alles macht eine sinnvolle Planung für ein nächstes Konzert im Augenblick äußerst schwierig. Insofern wird 2021 als Jubiläumsjahr des Chores leider ohne eine Konzertaufführung zu Ende gehen. Dafür sind im kommenden Jahr aber gleich zwei Konzerte geplant: Im September 2022 wird das große Jubiläumskonzert im Forum nachgeholt und im Frühjahr soll die Tangomesse von Martìn Palmeri aufgeführt werden.

Klaus-Dieter Fritz
08.11.2021