Erstaufführung: Ensemble Paulinum singt das Oratorium „Joseph“ von Johann Mattheson Drucken

Ergreifendes Werk: Nächstenliebe besiegt die Rache

Thumbnail imageDas Wormser Ensemble Paulinum ist bekannt für seine Erstaufführungen: Unter Leitung von Christian Bonath hat die Formation über 20 Werke von Graupner, Stölzel, Telemann, Heinichen und Johann Mattheson in modernen Welterstaufführungen wieder ans Licht gebracht.

Am 9. Juli war der Chor nun Matthesons Oratorium „Joseph“ zu hören. Zuvor hatte man bereits mit der „Frucht des Geistes“, „Chera“ und „Das Großes im Kleinen“ drei Oratorien des Hamburger Universalgelehrten aufgeführt. Steffen Voss vom Verlag „edition-Musiklandschaften“ hat die Autographen spatiert und so das Notenmaterial erschlossen.

Die Geschichte des Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten in die Sklaverei verkauft wird, durch sein Talent des Traumdeuten aber dem sicheren Tod entgeht und sich schließlich bei seiner Rückkehr milde gegenüber seinen Brüdern zeigt, findet sich im Buch Mose. Beeindruckend ist die musikalisch erlesene Qualität des Werkes: Die Gesangspartien sind sehr anspruchsvoll, wurden sie doch für die Solisten der Hamburger Gänsemarktoper geschrieben. Auch der Chor, bei Mattheson darf man von einer Minimalbesetzung von insgesamt 6-8 Sängern (Solist plus ein Repienosänger) ausgehen, ist sehr fordernd und bietet dem Zuhörer zahlreiche packende Elemente. Auf die Ouvertüre folgt der Eröffnungschoral, der das Thema des Oratoriums vorgibt: Die Liebe (Nächstenliebe) siegt über den Hass (Rache), verdrängt die Rache, die der Mensch Gott überlässt. Die Hauptfigur Joseph berichtet nun retrospektiv von seiner Auslieferung nach Ägypten durch seine Brüder. Der Chor malt die Szene dramatisch aus mit „Auf, laßt uns ihn erwürgen“, danach schildert Joseph sein Leiden. Eine Lamento-Arie mit dem ungewöhnlichen Soloinstrument Viola bringt Leid und Jammer zum Ausdruck, gut zu hören in den chromatischen Tonschritten. Was nun folgt ist so etwas wie der musikalische Höhepunkt des Werkes und auch musikhistorisch interessant: Mattheson bedient sich mit der Musik von Antonio Lotti bei einem anderen Komponisten. Er bearbeitet dessen Madrigal „La vita caduca“ musikalisch (ändert die Stimmaufteilung) und unterlegt einen deutschen Text. Der „Neider“ steht im Konflikt mit dem liebenden „Nächsten“, der durch die „Sonne der Freuden“ (Gott) zum Guten gelangt. Ein ungemein ausdrucksstarkes Stück, das noch einmal die hohe Meisterschaft beider Komponisten, also Lotti und Mattheson, deutlich aufzeigt. Die kurze Arie für Sopran warnt vor „Rache und Neid“, da man sonst „die Gerechtigkeit vergißt“. Joseph zeigt sich einsichtig und dankbar, da er Ägypten durch sein Talent des Traumdeutens entfliehen kann. Doch zurück in der Heimat steht er vor der beherrschenden Frage: Rache oder Barmherzigkeit. Das folgende Duett, hiermit endet der erste Teil des Werkes, gibt die Antipoden wieder, die Unbarmherzigkeit und Gott, mit Hass auf der einen und Liebe auf der anderen Seite – großartig im gegenseitigen Kommentar.

Thumbnail imageKurios ist nun die Eröffnung des zweiten Teils des Oratoriums: Mattheson schreibt eine Fuge für vier Tenöre! Kompositorisch gesehen ist es ein Kanon. Die Botschaft ist einfach: werdet barmherzig und vergebt! Nun dürfen wir Joseph direkt in die Seele blicken, er schildert sein Verlangen nach Rache; doch die Liebe zu seinen Brüdern kann er nicht leugnen, wie er in der Tenorarie schön besingt: „Will man den Seinen sich verleugnen, so klopft doch das bewegte Herz.“ Dies veranlasst ihn zu „zärtlichem Tun“. Wunderbar barock kommentiert nun der Christ: „Wer andern eine Grube gräbet, der stürzet selbst zuerst hinein.“ Unterstützt wir jene Aussage durch die virtuose Arie mit der Satzüberschrift ardito (kühn und keck). Das freudige F-Dur ist ein einziger Aufruf, tolerant gegenüber seinen Missetätern zu sein. Doch noch einmal schlägt die Unbarmherzigkeit zurück, zeigt sich uneinsichtig („ein Bruder, der mich plagt, den quäl ich freudig wieder“). Doch jetzt wird er von Gott direkt angesprochen: „Vergebt, so wird euch auch vergeben“. Der Chor fasst dies abschließend in einem packenden Schlusschor zusammen. In strahlendem F-Dur (Mattheson, beschreibt diese Tonart als „fähig die schönsten Gefühle auszudrücken“) skandiert er „Grausamkeit fort, fort zur Höllen“. Die pietistische Grundhaltung des Werkes lässt sich mit den Schlussworten des Chores schön dokumentieren: „Denn durch Barmherzigkeit und Güte macht sich ein christliches Gemüthe dem frommen Himmelsvater gleich.“

Die Reaktion des Wormser Publikums war begeistert, dem barocken Endzweck „rühren und gerührt werden“ hat Matthesons Musik vollauf entsprochen. Fazit: Ein absolutes Meisterwerk, dem man wünscht, dass es Eingang ins Repertoire finden möge!

Christian Bonath
13.07.2016